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Tödling Daniela

Daniela Tödling, 33 Jahre alt, wurde 1991 als Frühchen geboren und lebt in Weiz. Ihre Neugierde prägte ihre Kindheit, die sie in der Volksschule Weizberg verbrachte. Mit 13 Jahren begann sie zu schreiben und hat diese Leidenschaft nie aufgegeben. Sie absolvierte eine Teilqualifizierung als Maler und Anstreicher, arbeitet heute aber in der Molkerei „Weizer Schafbauern“.

Daniela liebt das Lesen und Schreiben und lässt sich von Autoren wie Jo Nesbo, J. K. Rowling und Colin Hadler inspirieren. In ihrer Freizeit fragt sie sich oft, was sie vor fünf Minuten tun wollte, und genießt ihre kreative Ader.

Suchbegriffe:

  • Obdachlosigkeit
  • Gesellschaft
  • Steiermark

TEXTE:

Tipsy - oder: Beachte mich einfach nicht! (Hauptpreis 2025)

Lügner! Klar hast du mich gesehen! Bist ja keine zwei Meter an mir vorbeigestampft mit deinen schneeblindweißen Sneakers! Ja, Mann, du hast mich kurz angeguckt, quasi bloß gestreift mit deinem Blick. Aber nur nicht länger hinschauen, hast du dir gedacht, deine azurblaue Tasche aus Kroko-Leder enger an dich gedrückt. Der Penner da am Boden könnte ja aufspringen und mein blaues Krokodil mitgehen lassen! Ja, hast du gedacht, nur schnell weg!

Tja: Passiert mir oft. Eure Eltern haben gesagt: Was am Boden liegt, hebt man nicht auf. Könnte dich ja beißen wollen oder ein Penner sein. – So wie ich. Ihr findet das Wort „Penner“ politisch nicht korrekt? Tja, dann hör JETZT auf zu lesen, denn eure Politik interessiert mich nicht. Die Löcher in eurem sogenannten „Sozialen Netz“ sind so weit, dass viele Leute durchfallen und zu Pennern werden. (UND DA IST DAS BÖSE WORT WIEDER!) Ich selber nenne mich Tipsy. (Bin kein Säufer. – Verzeihung! – Alkoholiker – Tipsy heißt nämlich „beschwipst“.) Habe blaue Augen, eine rot-grüne Irokesen-Frisur und Second-Hand-Klamotten. Meist in Schwarz. Wenn ich in der Sonnenstraße sitze, auf meiner Gitarre klimpere oder jongliere, schenkt ihr mir manchmal Beachtung. Manchmal schreit ihr: „Such dir’n Job!“, oder guckt, als hätte ich euch allein mit meiner Existenz beleidigt. Aber, verehrte Mitbürger: Keine Sorge! Lange werdet ihr meine Existenz nicht mehr aushalten müssen!

On the pryre (Ehrenliste 2020/21)

Unheimlich hallten seine Schritte auf dem Beton Boden einer aufgelassenen Garage nahe Helsinki. Ein bitterkalter Wind fuhr durch Ritzen und sang sein schauriges Lied. Das eintönige Grau der Wände wurde nur hin und wieder von einem Jugend-Gang Graffiti durchbrochen.
Als er urplötzlich ins fahle Licht einer Notbeleuchtung trat, zuckte Tammi
dennoch zusammen. Sein rundliches, aber keineswegs dickes Gesicht mit den dunklen Federn… sie kannte jeden Zentimeter dieses Körpers. Jeden Makel, jede Pore… Sie kannte aber auch die innewohnende Seele. Den unerträglichen Zustand seiner Trink- und Selbstaufgabe-Phasen. Die Dunkelheit.

+

Keine Umarmung. Die Hände steckten in den Hosentaschen. Er ging auf Distanz. „Was willst du?“ Kalt, unpersönlich. Tammi Pitkänen bereute es mit einem Mal, ihre Zigaretten in der Wohnung liegen gelassen zu haben. Dann hätten ihre Hände wenigstens etwas zu tun gehabt. Die Distanz zwischen ihnen war fast körperlich spürbar. Lauri Ylönen‘ s Haltung verriet Angespanntheit. Ein Raubtier, das überlegte, ob sich der tödliche Angriff lohnte. Knapp über ihren Köpfen huschte etwas hinweg. Tammi zuckte leicht zusammen. Lauri reagierte überhaupt nicht. Tammi antwortete – verspätet – auf Lauri‘ s Frage: „Ich wollte mich mit dir treffen, weil…“, brach wie ein Läufer ab, der die Orientierung verloren hatte. Lauri‘ s Körperspannung hatte sich gelockert. Nun lehnte er an einer Säule, die Hände in den Taschen der schwarzen stonewashed Jeans vergraben. Tammi bemerkte, dass er heute grüne Kontaktlinsen trug. Als ihre Hände zu ihrem Bauch hochhuschten, folgte Lauri‘ s Blick ihnen.
„Ich krieg ein Baby von dir.“

+

Die Wut kroch mit der Hitze einer Feuersäule in Lauri Ylönen hoch. Würde er Gewalt nicht so verabscheuen, hätte er Tammi jetzt eine Ohrfeige verpasst. Die Kiefer des 24-jährigen mahlten.
Lauri‘ s Blick löste sich vonihrem Bauch, der in einem schwarz-roten Burberry-Mantel steckte. Die

Feuersäule fühlte sich so an, als würde er auf einem Scheiterhaufen stehen. Auf einem Scheiterhaufen stehen und für die Sünden anderer leiden. Der Mann schüttelte den Kopf. „Das Kind kann nicht von mir sein.“ Lauri‘ s Stimme klang sanft, obgleich der Scheiterhaufen nun loderte.
„Wir hatten seit sechs Monaten keinen Sex mehr.“

+

Sie hatten die Anonymität der Garage verlassen. Saßen nun draußen auf einer, vom letzten Regen noch feuchten, Parkbank. Es hatte keine Tränen gegeben, kein Geschrei. Nur Trauer und stummes Verständnis. Lauri hatte die Ellenbogen auf seine Knie gestützt und fuhr sich durch‘ s Gesicht, als wolle er den Schlaf vertreiben. Oder bestimmte Gedanken. Letzteres wahrscheinlicher. Irgendwann durchbrach der Finne das Schweigen: „Er ist jünger als ich, oder?“ Zu seiner Überraschung schüttelte Tammi den Kopf. „Nein. Älter. Um drei jahre.“ Sie senkte den Kopf, spielte mit den Silberringen an ihrer Hand. Leise, aber fest, sprach Tammi weiter: „Ich habe ihn in einem Online-Portal kennengelernt.“ „Ah. Und dort hat er dich geschwängert?“ Lauri klang sarkastischer, als er es eigentlich vorgehabt hatte. Tammi starrte auf ihre Knie, knetete ihre Hände. Eine blonde Frau mit rosa Kinderwagen ging an ihnen vorbei. Aus dem Wagen drang fröhliches Glucksen. Jetzt drehte sich Tammi zu Lauri um. „Das mit uns … das ist am Sterben. Schon lange, Lauri.“ Der Anblick des Kinderwagens versetzte dem Mann einen Stich.
Der Scheiterhaufen in Lauri war verloschen. Stattdessen war dort nur noch verkohltes, totes Holz. Ein großer Berg aus verkohltem, totem Holz. Irgendwann erhob sich Tammi, legte ihm eine Hand auf die Schulter und ging.

Lauri hob den Kopf und wollte ihr nachsehen, sie im Blick behalten bis sie am Ende des Parks verschwunden war, doch die Tränen in seinen Augen machten ihn blind.

ENDE