
Julian Messner
Ich wurde 1986 in Bruneck mit Down-Syndrom geboren und lebe mit meiner Mutter in Oberrasen. In der Kunstwerkstatt Akzent der Lebenshilfe arbeite ich unter der Leitung von Elfriede Kehrer. Ich liebe es, im Rampenlicht zu stehen: Ich spiele Theater bei der Volksbühne Rasen und dem Kleinen Theater Bruneck, moderiere Veranstaltungen und bin Sänger sowie Bandleader der Musikgruppe Miteinanders. Außerdem habe ich ein Theaterstück geschrieben und inszeniert. Meine Bilder wurden bei Ausstellungen gezeigt, und meine Gedichte trage ich bei Konzerten und in Schulen vor. In meiner Freizeit sammle ich Wörter.
Suchbegriffe:
- Mut
- Leben
- Down-Syndrom
- Südtirol – Italien
Texte:
Mal Luftsprung - mal Dammbruch (Hauptpreis '25)
Am 30. November 2021 durfte ich erstmals ein eigenes Buch in Händen halten.
Einige Tage später habe ich in „Luftsprung“ meine Gefühle niedergeschrieben.
neulich
um genau zu sein
am 30. november
konnte ich erstmals
mein eigenes buch
in händen halten
was für emotionen
abends im bett
ich noch total aufgekratzt
breitete sich vom bauchraum her
ein glucksen und pfnuttern aus
stieg bis in die mundhöhle
und explodierte dort
in ein schallendes gelächter
da stieß ich mich ab
es katapultierte mich
durch zimmerdecke und dach
und ich stieg hoch und höher
in den sternenhimmel hinauf
ehe ich an einem stern anstieß
machte ich einen salto rückwärts
und schwebte federleicht
zurück in mein bett
ist das ein traum gewesen?
habe ich das wirklich erlebt?
fakt ist
freude gebärt luftsprünge
manchmal sogar galaktische
Neulich, um genau zu sein, am 1. Oktober 2024 konnte ich zum ersten Mal mein zweites Buch mit dem Titel „Wörtersammeln und Stichwörteln“ in die Hand nehmen. Ich fuhr mit meiner Mutter nach Bozen, dort trafen wir meine Tante und gemeinsam betraten wir den Verlag von Raetia.
Magdalena, meine Projektleiterin, drückte mir ein Exemplar meines zweiten Buches in die Hand. Es sah wunderprächtig aus. Freude stieg von den Zehen aus bis in den Kopf auf und kam mit einem Lächeln aus den Augen aus mir heraus. Ich lachte, bedankte mich, stieß mit einem feinen Getränk in der Bar nebenan mit meinen Begleiterinnen an, blätterte im neuen Buch, fühlte mich auf einmal aber ganz komisch und leer. Es war, als hätte ich keine Worte mehr.
Meine Mutter und ich begaben uns ins Bücherlager, stapelten Bücher ins Auto und machten uns auf den Heimweg.
Noch immer hatte ich keine Worte, stimmt gar nicht, mein Inneres war voller Worte. Sie drängelten in mir, verkeilten sich, verkrampften sich, hatten Form und Klang verloren. Ich fühlte mich übervoll und zugleich völlig leer, unsagbar glücklich und abgrundtief traurig. Und dann brach es aus mir heraus, die Tränen ließen sich nicht mehr zurückhalten. Ich weinte, schluchzte und schniefte von Kollmann bis nach Klausen. Meine Mutter fuhr zur Seite, hielt an und nahm mich in die Arme. Und alles war gut.
Diesmal kein Luftsprung, diesmal ein Dammbruch. So unterschiedlich kann Freude sich äußern.
Freiheit ?!? (Ehrenliste 2024)
Die Freiheit, von der ich lange geträumt habe, wird es für mich nie geben. Ich habe Trisomie 21 oder das Down – Syndrom. Das ist keine Krankheit, das lässt sich nicht heilen, das geht nicht weg, die Behinderung ist da, ob ich will oder nicht. Das habe ich nach und nach eingesehen und akzeptiert.
Die Vorstellung von Freiheit ändert sich mit der Zeit. Mit fünfzehn sechzehn Jahren habe ich geglaubt, von daheim ausziehen bedeutet Freiheit. Mit Einwilligung meiner Mutter habe ich mich in die Warteliste des Wohnheimes eintragen lassen und habe gewartet. Was bin ich doch froh, dass nicht schnell ein Platz frei geworden ist, denn ich habe bald gemerkt, ich kann wohl nirgends freier leben als daheim. Ich kann mich in mein Zimmer zurückziehen, wenn ich allein sein will. Wenn ich nicht zur Arbeit gehe, kann ich aufstehen und zu Bett gehen, wann es mir passt. Ich darf meine Wünsche bezüglich Essen äußern und werde gut versorgt. Ist das etwa nicht Freiheit?
Meinen Arbeitsplatz habe ich selber gewählt, nach einem Probeschnuppern habe ich mich für das Integrierte Kunstatelier entschieden. Aus dem Kunstatelier ist 2011 die Kunstwerkstatt der Lebenshilfe geworden. Dieser Arbeitsplatz ist genau richtig für mich, ich habe diese Wahl nie bereut. Freiheit? Ja! Dennoch gibt es einen Wermutstropfen. Ich muss dafür zahlen, dass ich dort arbeiten darf, und zwar doppelt so viel wie ich verdiene. Zudem muss ich auch noch an Arbeitstagen 10 € für das Mittagessen in der Mensa zahlen. Wenn ich nicht eine bescheidene Hinterbliebenenrente von meinem verstorbenen Vater bekäme, könnte ich mir die Arbeit in der Kunstwerkstatt nicht leisten. Dabei arbeite ich so gerne und male schöne Bilder. Aber es heißt ja, die Kunst ist ein brotloser Beruf, und wenn ich seit kurzem auch 20% auf den Erlös der Bilder bekomme, verkaufen sich leider nur wenige Bilder. Reich werde ich davon sicher nicht. Das muss ich ja auch nicht. Ich habe das, was ich zum Leben brauche. Auch das bedeutet Freiheit.
Ich habe sogar eine Frau, bin verheiratet und wohne trotzdem zu Hause bei meiner Mutter, und Annemarie lebt bei ihren Eltern. Ich bin damit vollauf zufrieden. Ich könnte nicht die Verantwortung für meine Frau übernehmen. Wir gehören zusammen, sind aber frei von Beziehungsstress und Alltagskram und sind doch jeden Tag bei der Arbeit zusammen. Das nenne ich Freiheit.
Die wichtigste Freiheit ist für mich die Gedankenfreiheit. Die nehme ich mir, ich lasse mir von niemanden vorschreiben, was und wie ich denke.
gedanken tanzen durch meinen kopf
blubbern aus meinem mund
formen sich zu einem gedicht
zu einem text
ich darf zeichnen
darf malen
darf theater spielen
kann singen und trommeln
werde gut versorgt
fühle mich umsorgt
werde geliebt
darf lieben
das ist meine FREIHEIT
Ich bin glücklich und zufrieden mit meinen Freiheiten.
ausnahmsweise ohne titel (Ehrenliste 2020/21)
im rhythmus meines herzschlags
wandle ich durchs leben:
mal fröhlich tanzend
mal müde latschend
mal aufgeregt springend
mal nachdenklich trottend
mal zornig stampfend
mal übermütig wirbelnd
mal verträumt schwebend.
lausche dem klang meiner seele
und webe daraus meine erkennungsmelodie.
Mut (Schokopreis 2020/21)
mut ist
dem inneren schweinehund
ins gesicht zu schauen
ihm zuzulächeln
und ihm zuzurufen
„na komm schon, lass uns zusammen tanzen“
ich denke (Hauptpreis 2013)
ich denke
ich denke mir
so wie ich bin so und nicht
anders soll ich sein und so hätte ich mich
auch selbst gemacht
ich habe augen nase mund und ein
schönes gesicht
habe eine brille zum sehen und hände
zum streicheln und beine zum gehen
habe ohren zum hören einen hals zum
recken und hüften zum kreisen
mein körper ist ganz aufrecht
habe zähne zum beißen
eine zunge zum schlecken und schmecken
und rote lippen zum küssen
ein herz um zu lieben
eine lunge zum atmen
einen kopf zum denken und zum entscheiden
das alles brauche ich
nur EINS hätte ich anders gemacht
ich hätte mir ganz bestimmt nicht
das down syndrom verpasst –
ich will nicht behindert sein
Werkzyklus (Sonderpreis 2012)
auf die welt kommen
wenn man auf die welt kommt, erblickt man das erste licht der welt.
zuerst ist man blind und hilflos.
Wie das kind die augen öffnet und es das erste licht der welt sah und deren mutter sieht
begann es laut zu schreien, dass die lungen viel luft bekommen, dass es mit den lungen atmet.
dann nahm die mutter das baby, und packt die busen aus, und nimmt das baby und drückt es an die brust und es begann zu trinken.
als es fertig getrunken hat ist es müde und es begann im arm der mutter zu schlafen und zu träumen.
dies ist die geburt des babys max.
als der kleine bruder jan das kleine baby sah, sagte er: „das ist das coolste baby das es gibt“.
als am Freitag den 8. april meine mutter mich im bus anrief um zu sagen, dass der kleine max auf der welt ist, da habe ich eine ganz große freude gehabt und schreie es laut im ganzen bus, dass alle es erfahren haben!
und ich habe dem kleinen jan gratuliert, dass er einen kleinen bruder bekommen hat.
als ich das baby am Samstag zum ersten mal gesehen habe, habe ich auch meine väterlichen gefühle bekommen und ich habe mit ihm gesprochen als er noch schlief. vielleicht hat er es mitbekommen, während er ganz schön schlief.
er ist wunderschön und noch zerbrechlich.
er ist schon jetzt mein lieblingscousin.
blume
blume im gras
mit der wiese verbündet
blume im wind
neben der walderdbeere
ich wiege mich hin
ich wiege mich her
bald vergißmeinnicht
bald margerite
oder pfingstrose
mit heftigem rot
in der nahenden sonne
da kommt die liebe aus den blüten.
junge dame
diese beweglichkeit
des feinen sinns der jungen dame
ihre erscheinung so angenehm
in ihrer zarten weiblichkeit
ein seelischer geist wohnt in ihrem herzen
mit viel begabung und guter eigenschaft
zum glück hat sie das vielleicht böse
in sich nicht aktiviert
da wohnt die liebe
ganz drinnen
im innern
in der herzmitte
da wohnt die liebe
darin ist alles mit freude ausgekleidet
rosarot
oder wie flieder
oder ganz kräftig rot
es ist ein wunderraum
der schönste platz der welt
„mir ist so warm ums herz“
„ich drücke dich an mein herz“
so singt und schwingt es in mir
am eingang zum herz
auf der herztür steht:
herzlichen glückwunsch!
die liebe ist wie ein blüttenblatt
Umschwebt das herz ganz leise
besonders in der nacht und flüstert:
„ich hab dich lieb“
oft fliegt die liebe im traum herum
sie lächelt
sie ist in der melodie
aber die liebe kann auch ein vulkan sein
er schüttet so viel rot übers herz
dass es jammert
bei bösen menschen kracht die liebe
die rosenblüten fliegen fort
das herz wird dunkel und kalt
aber meinem herzen geht es gut
es liebt
ein traum
auf der straße
die berge schauen herunter / ich schaue hinauf
die vielen autos
der nebel
dorf und kleinstadt wo ich wohne
es ist winter auf der straße
im bus die leute / was ich höre was ich sehe
feines geäst am winterhimmel
verblasst der zebrastreifen
erinnerst du dich / ich erinnere mich
ein taschentuch wischt mir die träne weg …
jetzt will ich sie anders sehen die welt
da spüre ich arme
die halten mich fest
nicht so nah herantreten / damit es länger hält
mein innenbild für dich
gewitterzorn
so ein himmel mit blitzbeleuchtung
und wie die wolken raufen
im gewitter
wenn ich zornig bin
wiese und wald ducken sich
blumen verstecken ihre köpfe
und die menschen rennen
nur die zypressen bleiben stehen
schnee
der schnee ist ein maler
pures weiß gießt er
über hügel und felder
wo sich der hase versteckt
das verbliebene gras
der niedere strauch
zwischen blumen erfroren
im tal hier
hat mir der schnee schon
manch spielzeug versteckt
eine mütze den fäustling das rad
er ist ein guter verstecker
ganze almen lässt er verschwinden
im murmeltierschlaf
ich fange mir schnee in der hand
aber dann tröpfelt es leise …